2019 war das Motto der Weltstillwoche „Eltern stärken für das Stillen“. Autorin und Journalistin Nora Imlau, Mitglied der Strategiegruppe im Rahmen der Kommunikationsstrategie Stillförderung, fragte über ihre Kanäle bei Twitter, Facebook und Instagram mit dem Hashtag #stärktuns ab, welche Unterstützung Eltern beim Stillen brauchen. Was hat Eltern dabei geholfen, was hat ihnen gefehlt? Über 30.000 Interaktionen (Liken oder Teilen) und über 1.600 Reaktionen und Kommentare gab es, die im Anschluss durch das Kompetenzteam Kinderernährung um Prof. Christel Rademacher im Fachbereich Oecotrophologie der Hochschule Niederrhein wissenschaftlich analysiert wurden.
Thema Stillen in der Öffentlichkeit bewegt viele
Die Analyse zeigte, dass insbesondere das Thema Stillen in der Öffentlichkeit viel diskutiert wurde – mit ganz unterschiedlichen, zum Teil konträren Erfahrungen. Viele Mütter äußerten den Wunsch nach mehr Normalität und haben dabei verschiedene Verhaltensweisen: Manche Frauen stillen ganz selbstverständlich in der Öffentlichkeit, weil ihr Kind es gerade braucht und sie nicht ahnen, dass es jemanden stören könnte. Wieder andere stillen bewusst im öffentlichen Raum, um als Vorbild zu agieren und Akzeptanz einzufordern. Manche Frauen entscheiden sich gegen öffentliches Stillen, da sie sich hierfür ihre Privatsphäre wünschen, oder weil ihr Kind in der Öffentlichkeit zu schnell abgelenkt ist. Viele vermeiden das Stillen in der Öffentlichkeit aber auch, weil sie sich unsicher fühlen und negative Reaktionen fürchten. Speziell am Anfang der Stillzeit ist diese Sorge ein Hemmnis für die Frauen und erschwert ihnen einen erfolgreichen Stillstart.
Die Wünsche der Mütter, wo und wie sie in der Öffentlichkeit stillen möchten, sind sehr unterschiedlich: Einige wünschen sich Stillräume, in die sie sich zurückziehen können, andere empfinden spezielle Räume als Isolation. Unabhängig vom Ort sind sie sich jedoch einig darüber, dass sie sich willkommen fühlen möchten.
Unter dem Hashtag #stärktuns berichteten einige Mütter von negativen Erlebnissen und Diskriminierungen, wie hier: „[...] da ich letztens in einem Geschäft gebeten wurde dieses zu verlassen, weil ich vor der Kasse mein Baby gestillt habe, während eine andere Mama ihr Baby mit der Flasche fütterte und bleiben durfte [...]“. Aber auch positive Erlebnisse wurden geschildert: „[...] Stattdessen hatte ich mal eine Zugschaffnerin, die mein Ticket nicht kontrolliert hat, weil ich in dem Moment nicht an meine Tasche kam und sie Verständnis hatte.“
Stillförderung als nationale Aufgabe
Dieses Spannungsfeld bestätigte auch das Forschungsvorhaben Becoming Breastfeeding Friendly, das die Situation der Stillförderung in Deutschland untersuchte. Als Konsequenz aus den Ergebnissen setzt das Netzwerk Gesund ins Leben im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) derzeit eine Kommunikationsstrategie für die Stillförderung um. Diese verfolgt zwei Ziele: die gesellschaftliche Akzeptanz des Stillens bevölkerungsweit zu steigern sowie das Wissen über die Bedeutung des Stillens zur Förderung der Stillmotivation zielgruppenspezifisch zu verbessern, v. a. bei Frauen, die seltener und kürzer stillen als Vergleichsgruppen.
Eine wichtige Aufgabe im Rahmen der Kommunikationsstrategie Stillförderung wird es sein, Stillen in der Öffentlichkeit als selbstverständlich zu etablieren. Dr. Stephanie Lücke, Referentin für Stillförderung im Netzwerk Gesund ins Leben: „Wer stillen möchte, muss auch stillen können – überall und mit der bestmöglichen Unterstützung! Dazu gehört auch, dass Stillen in der Öffentlichkeit gesellschaftlich voll akzeptiert ist und eine Atmosphäre gegenseitigen Respekts herrscht.“
www.gesund-ins-leben.de/stillfoerderung
www.gesund-ins-leben.de/eltern-staerken
www.gesund-ins-leben.de/stillenwillkommen
Weitere Informationen
Hintergrund
In dem internationalen Forschungsvorhaben Becoming Breastfeeding Friendly (BBF) hat eine interdisziplinäre Expertenkommission ab 2017 eine systematische Bestandsaufnahme zum Stand der Stillförderung in Deutschland vorgenommen und acht Empfehlungen für die Stillförderung in Deutschland abgeleitet. Das Vorhaben wurde mit Förderung des BMEL vom Netzwerk Gesund ins Leben und der Nationalen Stillkommission gemeinsam mit der Yale School of Public Health durchgeführt.
Als zentrale Empfehlung des BBF-Projektes wurde die Entwicklung einer Nationalen Strategie zur Stillförderung benannt. Das BMEL ist dieser Empfehlung gefolgt und hat am Institut für Kinderernährung des Max Rubner-Instituts eine Koordinierungsstelle eingerichtet, welche die Strategie partizipativ entwickelt und deren Umsetzung koordiniert. Die Kommunikationsstrategie zur Stillförderung ist Teil der Nationalen Strategie, die derzeit entwickelt wird.
Zahlen und Fakten
Fast drei Viertel der Mütter stillen direkt nach Geburt voll [1] (d.h. ihr Baby bekommt nur Muttermilch und ggf. wässrige Flüssigkeiten wie Wasser oder Tee, aber keine Säuglingsmilch). In den ersten Lebensmonaten sinkt ihre Zahl jedoch stark, obwohl Babys in dieser Zeit normalerweise nur Muttermilch brauchen. Stillende berichten immer wieder, dass sie negative Erfahrungen beim Stillen in der Öffentlichkeit machen, ihre Zahl reicht je nach Studie von 21 % [2] über 14 % [3] bis 6 % [4]. Tatsächlich lehnt ein Teil der Allgemeinbevölkerung in Deutschland das Stillen in der Öffentlichkeit ab (11 % derer, die in den vergangenen zwölf Monaten öffentliches Stillen wahrgenommen haben) oder bewertet dies neutral (48 %) [4].
Dieser Eindruck von einer Atmosphäre, in der das Stillen nicht unterstützt oder sogar abgelehnt wird, beeinflusst das Verhalten stillender Frauen: So vermeidet ein Teil der Frauen das Stillen in der Öffentlichkeit aus Sorge vor negativen Reaktionen (29 %) [3]. 10 % der Mütter, die vorzeitig abgestillt hatten, gaben als Grund dafür das unangenehme Gefühl an, vor Fremden zu stillen [4].
1. Brettschneider A. K., von der Lippe E., Lange C. (2018): Stillverhalten in Deutschland - Neues aus KiGGS Welle 2. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 61 (8), 920–925, doi: 10.1007/s00103-018-2770-7
2. Lansinoh Laboratories Inc. (2017): Lansinoh Stillstudie 2017. lansinoh.de/lansinoh-stillstudie-2017/ (abgerufen 17.8.2020)
3. forsa Politik- und Sozialforschung GmbH (2018): Erfahrungen mit „Mom-Shaming“: Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von Müttern kleiner Kinder. www.leben-und-erziehen.de/familie/familienleben/mom-shaming.html
4. Koch S, Abraham K, Sievers E, et al. (2018): Ist Stillen in der Öffentlichkeit gesellschaftlich akzeptiert? Erfahrungen und Einstellungen der Bevölkerung und stillender Mütter. Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz; 61: 990–1000, doi: 10.1007/s00103-018-2785-0