Die folgenden Empfehlungen gelten für Säuglinge, die ein erhöhtes Allergierisiko haben. Das bedeutet, dass bei mindestens einem Elternteil oder einem Geschwisterkind eine atopische Erkrankung (Asthma bronchiale, allergische Rhinitis, atopische Dermatitis, Nahrungsmittelallergie) vorliegt. Die Empfehlungen betreffen die Ernährung in den ersten Lebensmonaten bis zur Einführung von Beikost. Sie betreffen nicht eine etwaige Zufütterung gestillter Säuglinge in den ersten Lebenstagen.
Aktualisierte Empfehlungen (2024)
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Säuglinge, die ein erhöhtes Allergierisiko haben, sollen ebenso wie Säuglinge ohne erhöhtes Allergierisiko gemäß der Empfehlung zur Stilldauer gestillt werden (siehe Kapitel „Stilldauer“).
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Für Säuglinge mit einem erhöhten Allergierisiko, die nicht oder nicht ausschließlich gestillt werden, sollte geprüft werden, ob bis zur Einführung von Beikost eine Säuglingsanfangsnahrung mit in Studien zur Allergieprävention nachgewiesener Wirksamkeit verfügbar ist. Ist keine Säuglingsanfangsnahrung mit einem von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bestätigten Wirksamkeitsnachweis verfügbar, kann keine Empfehlung für oder gegen eine bestimmte Säuglingsanfangsnahrung zum Zweck der Allergieprävention gegeben werden.
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Tiermilchen, wie Stutenmilch, Schafmilch, Ziegenmilch u. a., sowie pflanzenbasierte Getränke, die als Milchalternativen angeboten werden, haben keinen Nutzen für die Allergieprävention und sollten nicht zum Zweck der Allergievorbeugung gegeben werden.
Grundlage der Empfehlungen
- Diese Empfehlungen basieren auf der 2022 aktualisierten S3-Leitlinie zur Allergieprävention der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI) und der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) [140] sowie auf der aktuellen Leitlinie der Europäischen Akademie für Allergologie und klinische Immunologie (EAACI) zur Prävention der Entwicklung von Nahrungsmittelallergien bei Säuglingen und Kleinkindern [108]. Des Weiteren wurde die Stellungnahme der Ernährungskommissionen der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) und der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin zur alimentären Allergieprävention bei nicht gestillten Säuglingen in die Diskussion einbezogen und entsprechend eingeordnet [25]. Die Empfehlungen zum Stillen sind Teil dieser Publikation (siehe Kapitel „Stillen“).
Hintergrundinformationen
Die aktuelle Datenlage zur Wirkung des Stillens auf das Allergierisiko des Kindes ist nicht einheitlich [108]. Aufgrund der vielen gesundheitlichen Vorteile für Mutter und Kind wird das Stillen aber auch in aktuellen Leitlinien [108, 140] unterstützt. Die S3-Leitlinie zur Allergieprävention unterstützt die in Deutschland gültige Empfehlung, Säuglinge im 1. Lebenshalbjahr zu stillen, mindestens bis zum Beginn des fünften Monats ausschließlich [140]. Auch nach Einführung von Beikost – spätestens mit Beginn des siebten Monats – sollen Säuglinge weitergestillt werden (siehe Kapitel „Stilldauer“) [140].
Wird das Kind nicht oder nicht ausschließlich gestillt und weist ein erhöhtes Allergierisiko auf, soll es wie alle anderen Kinder, die nicht oder nicht ausschließlich gestillt werden, eine Säuglingsanfangsnahrung erhalten. Säuglingsanfangsnahrungen müssen in der Europäischen Union (EU) die Vorgaben der Delegierten Verordnung (EU) 2016/127 erfüllen. Sie können Kuhmilchprotein, hydrolysiertes Kuhmilchprotein, Ziegenmilchprotein oder Sojaproteinisolate (pur oder gemischt mit Kuh- oder Ziegenmilchprotein) als Eiweißquelle enthalten [82]. Derzeit gibt es für keine dieser Produktkategorien hinreichende Belege für einen allergiepräventiven Nutzen.
Lange Zeit wurde für nicht oder nicht ausschließlich gestillte Säuglinge mit einem erhöhten Allergierisiko bis zum Beikostbeginn eine Säuglingsanfangsnahrung auf Basis von partiell hydrolysiertem Kuhmilchprotein, eine sogenannte HA-Nahrung, empfohlen [71, 135, 194]. Das Akronym „HA“ stand dabei für „hypo-allergen“. Nach einer erneuten Bewertung der vorhandenen Studien im Zuge der Aktualisierung der o. g. Leitlinien wurde jedoch festgestellt, dass die wissenschaftlichen Daten für eine solche Empfehlung nicht ausreichen [140]. Angesichts dessen empfiehlt die aktuelle S3-Leitlinie zur Allergieprävention, dass für nicht oder nicht ausreichend gestillte Risikokinder geprüft werden sollte, ob bis zur Einführung von Beikost eine Säuglingsanfangsnahrung mit in Studien zur Allergieprävention nachgewiesener Wirksamkeit verfügbar ist [140].
Insgesamt ist die Datenlage hinsichtlich allergievorbeugender Effekte von HA-Nahrungen – aufgrund des Einsatzes von unterschiedlichen Proteinhydrolysaten, unterschiedlicher Studiendesigns, Interventions- und Beobachtungszeiten sowie betrachteten Endpunkten – unsicher und kontrovers [66, 108]. Die aktuelle EAACI-Leitlinie gibt daher ebenfalls keine Empfehlung für oder gegen die Gabe einer hydrolysierten Säuglingsanfangsnahrung zur Vorbeugung von Nahrungsmittelallergien im Säuglingsalter [108]. Auch die Ernährungskommissionen der ÖGKJ und der DGKJ sprechen keine eindeutige Empfehlung für die Verwendung von partiell hydrolysierten Säuglingsnahrungen aus [25].
Gemäß der in der EU geltenden Delegierten Verordnung (EU) 2016/127 müssen Sicherheit und Eignung jeder spezifischen Säuglingsanfangs- und Folgenahrung, die Proteinhydrolysate enthält, durch eine klinische Bewertung festgestellt werden. Ferner sind von den Herstellern klinische Studiendaten vorzulegen, die eine mögliche allergievorbeugende Wirkung ihrer hydrolysierten Säuglingsnahrung belegen. Entsprechende Anträge werden durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) geprüft. Erst wenn eine allergiepräventive Wirkung durch die EFSA bestätigt wurde, kann eine entsprechende gesundheitsbezogene Angabe von der Europäischen Kommission zugelassen werden [82].
Bislang wurde nur eine Säuglingsanfangsnahrung auf Basis von partiell hydrolysiertem Molkenprotein hinsichtlich ihrer Wirksamkeit zur Prävention von atopischer Dermatitis bei Säuglingen mit erhöhtem Allergierisiko von der EFSA bewertet, und es wurde kein entsprechender Zusammenhang bestätigt [66]. Damit ist derzeit keine hydrolysierte Säuglingsnahrung mit bestätigtem Wirksamkeitsnachweis verfügbar (Stand 06/2024). Daher können Eltern auch für Säuglinge mit erhöhtem Allergierisiko, die nicht oder nicht ausschließlich gestillt werden, nach Belieben eine Säuglingsanfangsnahrung wählen. Von einem allergiepräventiven Nutzen können sie bei keiner Säuglingsnahrung ausgehen.
Das Akronym „HA“ wird von Herstellern weiterverwendet, nun aber in der Regel als „Hydrolysierte Anfangsnahrung“ oder bei Folgenahrung als „Hydrolysierte Anschlussnahrung“ übersetzt.
Vorteile von Säuglingsanfangs- und Folgenahrungen mit Zusatz von Bakterienstämmen, die „probiotisch“ wirken sollen, und/oder mit Präbiotika zum Zweck der Allergievorbeugung, sind ebenfalls nicht ausreichend belegt – und sollen daher nicht zu diesem Zwecke gegeben werden [140].
Auch für Tiermilchen, wie Schafsmilch, Ziegenmilch, Stutenmilch u. a., oder pflanzenbasierte Getränke, die als Milchalternativen angeboten werden, gibt es keine Belege für eine allergievorbeugende Wirkung [140].