Die positiven gesundheitlichen Effekte des Stillens für Mutter und Kind sind unbestritten und in vielen Studien belegt. Weit seltener sind gesundheitsökonomische Evaluationen für das Stillen bzw. die Stillförderung. Prof. Dr. Stephanie Stock vom Institut für Gesundheitsökonomie der Universitätsklinik Köln nahm auf der Fachkonferenz zum Forschungsvorhaben Becoming Breastfeeding Friendly (BBF) am 5. Juni 2019 in Berlin die gesundheitsökonomischen Aspekte der Stillförderung in den Blick. Der Nachweis eines adäquaten Kosten-Nutzen-Verhältnisses der Stillförderung ist notwendig, um z. B. über die Aufnahme der Stillförderung in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) zu diskutieren. Denn hier gilt auch das Wirtschaftlichkeitsgebot. Eine Erhöhung des Budgetanteils des Bereichs Schwangerschaft/ Mutterschaft, 2017 bei 0,65 % ohne stationäre Geburten, müsste wohl begründet werden.
Wie sich Stillförderung rechnet
Gesundheitsökonomische Analysen setzen Nutzen und Kosten der Stillförderung ins Verhältnis und vergleichen sie mit dem Status Quo. Als Nutzen fließen die gesundheitlichen Effekte ein, die dann wiederum durch das geringere Krankheitsrisiko und vermiedene stationäre Aufenthalte zu vermiedenen Kosten führen. Auch gesellschaftliche Kosten, z. B. durch die Vermeidung von Krankheitsausfällen im Erwerbsalter, können je nach Perspektive berücksichtigt werden. Diesen Kosteneinsparungen stehen Kosten für etwaige Nebenwirkungen (z. B. bei einer Brustentzündung/Mastitis), aber auch die monetären Aufwendungen für die Implementierung und Erhaltung von Stillförderungsmaßnahmen gegenüber. International gibt es deutliche Hinweise für eine Kosteneffizienz der Stillförderung. Für Deutschland liegen entsprechende Analysen noch nicht vor. Doch auch hierzulande ist es sehr wahrscheinlich, dass durch die Stillförderung Gesundheitskosten eingespart werden könnten und die Stillförderung sogar aus diesen Einsparungen finanziert werden könnte.
Vulnerable Familien in den Blick nehmen
Die meisten internationalen Studien quantifizieren allerdings nur den Nutzen der Stillförderung. Modellberechnungen aus Holland zeigen, dass bereits Kosten eingespart werden, wenn 5 % der Mütter einen Monat länger als bisher stillen. Der größte Einsparungseffekt ergibt sich jedoch, wenn alle Frauen ihr Kind stillen und nicht nur ein Teil wie bisher. Vor allem psychosozial stärker belastete Frauen stillen seltener und wenn, dann kürzer. Ihre Kinder und auch sie selbst profitieren damit weit weniger vom gesundheitlichen Nutzen des Stillens. Da diese Familien ein insgesamt höheres Risiko für gesundheitliche Belastungen haben, ergibt sich ein hohes Präventionspotential für das Stillen. „Stillförderung muss vor allem diese Frauen erreichen. Sonst werden wir keine große Veränderung der Kosten-Nutzen-Bilanz erreichen“, so Prof. Dr. Stephanie Stock.
Die Empfehlungen zur Stillförderung in Deutschland nehmen vulnerable Gruppen explizit in den Blick. Alle Akteure und Akteurinnen, die Kontakt zu werdenden Müttern und ihrem sozialen Umfeld haben, sollen sich vor Ort vernetzen und dadurch einen niedrigschwelligen Zugang zu professioneller Stillberatung und -unterstützung ermöglichen, so lautet eine der acht BBF-Empfehlungen.
Das Forschungsvorhaben Becoming Breastfeeding Friendly (www.gesund-ins-leben.de/becoming-breastfeeding-friendly) wird seit 2017 im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft vom Netzwerk Gesund ins Leben und der Nationalen Stillkommission gemeinsam mit der Universität Yale durchgeführt. Die Ergebnisse und Empfehlungen des Forschungsvorhabens wurden am 5. Juni 2019 auf der Fachkonferenz Wie stillfreundlich ist Deutschland? in Berlin vorgestellt.
Veröffentlichung kostenlos unter Quellenangabe: www.gesund-ins-leben.de
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