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Viele Frauen, die ihr Neugeborenes stillen möchten, sorgen sich schon in den ersten Tagen nach der Geburt. Wenn das Baby, oft in den Abendstunden, gefühlt ständig an der Brust trinken möchte, setzt Unsicherheit ein: Reicht die Muttermilch? So ein Still-Marathon ist normal und heißt Clusterfeeding. Es ist eine Phase, die vorbeigeht. Das sollten Eltern wissen.

Frau stillt Baby im dunklen Schlafzimmer
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Wenn das Baby plötzlich stündlich oder halbstündlich an der Brust trinken möchte und das so genannte Clusterfeeding (aus dem Englischen: Mahlzeiten-Häufung) auftritt, ist das eine höchst sensible Phase in der Stillbeziehung zwischen Mutter und Säugling. Aus Unsicherheit, die Milch könnte das Kind nicht ausreichend sättigen, wird schnell zur Flasche gegriffen und der Stillstart dadurch gestört.

„Es ist normal, wenn in den ersten Lebenstagen und -wochen das Baby eine Art Mehr-Gänge-Menü über mehrere Stunden einfordert“, sagt Maria Flothkötter, Leiterin des Netzwerks Gesund ins Leben.

Fachkräfte helfen, indem sie Müttern in der Schwangerschaft und zu Beginn des Wochenbetts erklären, dass es diese kräftezehrende Phase gibt und damit die Milchbildung angeregt wird. Maßnahmen zur Unterstützung des Stillens wirken sich positiv auf Stillbeginn und Stilldauer aus [1].

Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen: Stillen bietet viele kurz- und langfristige gesundheitliche Vorteile für Mutter und Kind und ist im ersten Lebenshalbjahr und darüber hinaus für Säuglinge die ideale Ernährung [1]. Fast 90 Prozent der Mütter möchten ihr Kind nach der Geburt stillen, aber nur 68 Prozent der Mütter geben nach der Geburt ihrem Kind ausschließlich die Brust, nach zwei Monaten sind es noch 57 Prozent, nach vier Monaten 40 Prozent und nach sechs Monaten noch 13 Prozent [2]. Junge Eltern sind in den ersten Lebenstagen und -wochen ihres Kindes schnell verunsichert, wenn es um die Stillhäufigkeit und die Milchproduktion geht. Die Angst, dass das Baby nicht genug Milch bekommt, wird als häufigster Grund für ein Abstillen in den ersten sechs Monaten genannt [2, 3]. Dabei liegen nur in seltenen Fällen medizinische Gründe zur Störung der Milchbildung vor.

Beispiel aus der Praxis: der Klassiker

Müde Mutter auf Krankenhausbett mit Neugeborenem

Nicht selten passiert es noch im Krankenhaus: Am zweiten oder dritten Tag nach der Geburt erhalten die Eltern und ihr Neugeborenes Besuch. Das Baby schläft stundenlang friedlich auf dem ein oder anderen Arm von Verwandten und Freunden. Wenn die Eltern abends mit ihrem Baby wieder alleine sind und sich nach Schlaf sehnen, wird es unruhig und möchte im Halbstundentakt über einen längeren Zeitraum an der Brust trinken. Die Mutter ist am Rande ihrer Kräfte und besorgt darüber, dass die Milch dem Kind nicht reichen könnte. Vielleicht wird der Mutter in dem Moment zur Entlastung die Flasche angeboten. Das kann dazu führen, dass sie entgegen ihrer ursprünglichen Absicht zu stillen dann doch die Flasche gibt.

Zwischen dem zweiten und vierten Tag stellt sich in der Regel die Laktogenese I auf II um. Die Initiale Brustdrüsenschwellung tritt ein und damit die Phase der reichlichen Milchbildung (umgangssprachlich wird hier von „Milcheinschuss“ gesprochen, einem ungünstigen Begriff, weil er suggeriert, es gäbe davor keine Milch). Dies ist ein regulärer physiologischer Vorgang und ein Zeichen für den Beginn der reichlichen Milchbildung (Laktogenese II).

Clusterfeeding ist Teil des Milchbildungsprozesses und hat mehrere Aspekte: Kleine und häufige Mahlzeiten entsprechen der Nährstoffversorgung, die der Säugling noch aus der Zeit im Mutterleib kennt. Häufige, kürzere Stillphasen regen bei der Mutter besonders gut die Ausschüttung des für die Milchbildung wichtigen Hormons Prolaktin an, was jedoch erst nach mehreren Stunden wirkt. Clusterfeeding beauftragt so die Milchmenge für die nächsten Mahlzeiten.

Clusterfeeding etabliert die Laktation

Dr. Michael Scheele
Frauenarzt Dr. Michael Scheele

„Clusterfeeding ist ein typisches Saugverhalten in den ersten Lebenswochen eines Säuglings und sollte nicht als Zeichen von zu wenig Milch interpretiert werden. Es dient der Etablierung der Laktation und ist physiologisch zu erklären“, sagt Dr. Michael Scheele, Vertreter des Berufsverbands der Frauenärzte (BVF) e. V. in der Nationalen Stillkommission.

Abendliches Dauerstillen ist eine anstrengende Phase, aber sie geht vorbei und die Milchbildung kann sich dadurch individuell anpassen und einspielen.

Wir Frauenärzte und -ärztinnen können Müttern helfen, diese Physiologie zu verstehen und sollten ihnen schon während der Schwangerschaft qualifizierte Unterstützung ans Herz legen.“

Ausgebildete Hebammen oder Stillberater*innen können das richtige Anlegen, Stillhäufigkeit, Hungersignale, Zeitaufwand und viele andere Aspekte des Stillens mit den Eltern besprechen.

Elementar für den Milchspendereflex

Clusterfeeding dient der Milchbildung, da es für den Milchspendereflex eine wichtige Funktion hat. Das Saugen an der Brustwarze stimuliert die Produktion von Oxytocin. Die pulsatile Ausschüttung dieses Hormons löst bei der Mutter den Milchspendereflex aus, die Milch wird durch Kontraktion der Myoepithelzellen aus den Drüsen in die Milchgänge gepresst. „Es ist physiologisch sinnvoll, dass es - wie durch das Clusterfeeding - Konzentrationsspitzen für den Milchspendereflex gibt“, erklärt Dr. Michael Scheele. Durch Trinkpausen schützt ein Baby seine Mutter vor einer anhaltenden Oxytocinausschüttung, weil diese die Empfindlichkeit der Myoepithelzellen auf Oxytocin herabsetzen würde [4]. Nur durch immer wieder neue Konzentrationsspitzen kann sich der Milchspendereflex und die Milchbildung dann etablieren.

Clusterfeeding-Phasen auch später

Wenn Eltern wissen, dass diese anstrengenden Still-Marathon-Phasen vorkommen können, müssen sie sich keine Sorgen um die Milchmenge machen. Clusterfeeding kann auch nach der der ersten Lebenswoche auftreten. Oft erreicht das Kind danach neue Entwicklungsschritte. Clusterfeeding dauert meist etwa zwei oder mehr Tage und ist überwiegend in den Abendstunden zu beobachten.

Stillen nach Bedarf

Das Stillen nach Bedarf ist die wichtigste Maßnahme, um die Milchbildung auf den Säugling abzustimmen. Häufigkeit und Dauer des Stillens sollten deshalb vom kindlichen Bedarf bestimmt werden [1]. Das Stillen unterliegt individuellen Bedingungen, sodass jedes Mutter-Kind-Paar seinen eigenen bedarfsgerechten Rhythmus finden und verfolgen sollte. Aus diesem Grund gibt es keine absoluten Empfehlungen wie „x-mal in 24 Stunden“ oder „alle x Stunden“ stillen. Viele Kinder wollen in den ersten Lebenswochen acht- bis zwölfmal in 24 Stunden angelegt werden, andere weniger oder mehr. Auch das Stillmuster kann unterschiedlich sein und sich im Laufe der Wochen und Monate verändern. Manche Babys möchten rund um die Uhr regelmäßig alle zwei bis drei Stunden trinken, andere über einen Zeitraum von zwei bis sechs Stunden stündlich trinken und dann länger schlafen. Manche Säuglinge verändern ihre Stillfrequenz und ihr Stillmuster, wenn sie älter werden, andere nicht. Wichtig ist es für Eltern, die Hungersignale des Kindes zu erkennen und feinfühlig (bedarfsgerecht) darauf einzugehen.

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Literatur

[1] Koletzko B, Bauer CP, Cierpka M, Cremer M, Flothkötter M, Graf C, Heindl I, Hellmers C, Kersting M, Krawinkel M, Przyrembel H, Vetter K, Weißenborn A, Wöckel A. Ernährung und Bewegung von Säuglingen und stillenden Frauen. Aktualisierte Handlungsempfehlungen von „Gesund ins Leben – Netzwerk Junge Familie“, eine Initiative von IN FORM. Monatsschr Kinderheilkd 2016; 164(9): 765–789

[2] Brettschneider A-K, Lippe E von der, Lange C: Stillverhalten in Deutschland – Neues aus KiGGS Welle 2. Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz 2018;61:920–925 DOI: 10.1007/s00103-018-2770-7

[3] Kersting M, Hockamp N, Burak C et al.: Studie zur Erhebung von Daten zum Stillen und zur Säuglingsernährung in Deutschland – SuSe II. In: Deutsche Gesellschaft für Ernährung (Hrsg.): 14. DGE-Ernährungsbericht. Vorveröffentlichung Kapitel 3. Bonn (2020) V1–V 34, www.dge.de/14-dge-eb/vvoe/kap3 (Zugriff: 24.8.2020)

[4] Walker M: Breastfeeding Management for the Clinician – Using the Evidence (3rd ed). Burlington, MA: Jones & Bartlett Learning; 2014; 110ff