Säuglinge aus Familien, in denen mindestens ein biologisches Elternteil oder Geschwisterkind von atopischen Erkrankungen wie Asthma bronchiale, atopischer Dermatitis oder einer Nahrungsmittelallergie betroffen sind, tragen ein erhöhtes Risiko, im Laufe ihres Lebens selbst eine Allergie zu entwickeln [1]. In Bezug auf die Ernährung gilt für sie wie für andere Säuglinge, dass sie im 1. Lebenshalbjahr gestillt werden sollen, mindestens bis zum Beginn des 5. Lebensmonats ausschließlich. Auch nach Einführung der Beikost – spätestens zu Beginn des 7. Lebensmonats – wird empfohlen weiter zu stillen; wie lange insgesamt, bestimmen Mutter und Kind [2]. Zwar gibt es keine eindeutigen Belege, dass das Stillen die Allergieprävention unterstützt. Es hat aber viele andere gesundheitliche Vorteile für Mutter und Kind und kann die Bindung zwischen ihnen fördern [2, 3].
Falls nicht oder nur teilweise gestillt wird, sollen Babys eine industrielle, nach den gesetzlichen Regelungen hergestellte Säuglingsanfangsnahrung erhalten. Unter Berücksichtigung der aktuellen Datenlage und gesetzlichen Rahmenbedingungen hat der wissenschaftliche Beirat des Netzwerks Gesund ins Leben die nationalen Empfehlungen zur Ernährung und Bewegung von Säuglingen und stillenden Frauen hierzu aktualisiert [2]. Für Säuglinge mit erhöhtem Allergierisiko sollte nun gemäß den neuen Empfehlungen geprüft werden, ob für die Zeit bis zur Einführung der Beikost eine Säuglingsanfangsnahrung mit einem von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bestätigten Wirksamkeitsnachweis zur Allergievorbeugung verfügbar ist. Bislang ist das nicht der Fall (Stand: 6/2024) [4]. Solange keine Säuglingsanfangsnahrung mit einem bestätigten Wirksamkeitsnachweis verfügbar ist, kann keine Empfehlung für oder gegen eine bestimmte Nahrung zum Zweck der Allergieprävention gegeben werden. Bis auf Weiteres können Eltern daher nach Belieben eine industriell hergestellte Säuglingsanfangsnahrung auswählen.
Im Wortlaut: aktualisierte Empfehlung "Auswahl von Säuglingsnahrung bei erhöhtem Allergierisiko"
Marktangebot von Säuglingsnahrungen
In Deutschland gibt es zwei Arten von Flaschennahrungen: Säuglingsanfangs- und Folgenahrung. Säuglingsanfangsnahrungen tragen das Kürzel „Pre“ oder die Ziffer „1“ und können über das gesamte 1. Lebensjahr zunächst als alleinige Nahrungsquelle und später ergänzend zur Beikost gegeben werden [5, 6]. Eine „2“ oder höhere Zahl weist Folgenahrung aus. Sie kann in der Regel frühestens ab einem Alter von 6 Monaten und mit Beikost gefüttert werden [2, 7]. Als Eiweißquelle enthalten die Nahrungen Kuhmilch-, Ziegenmilch- oder Sojaprotein, teils in hydrolysierter Form [7]. Hydrolysiert bedeutet, dass das Eiweiß aufgespalten ist – entweder teilweise (partiell) oder stark (extensiv).
Kein bestätigter Wirksamkeitsnachweis für HA-Nahrungen
Säuglingsnahrungen, die teilweise hydrolysiertes Kuhmilchprotein enthalten, sind häufig mit „HA-Nahrung“ gekennzeichnet. Über viele Jahre stand „HA“ als Abkürzung für „hypoallergen“. Das sollte darauf hindeuten, dass diese Nahrungen das Risiko für die Entwicklung von Allergien verringern können. Nun liegen aktuelle Studien und Bewertungen der Datenlage sowie entsprechend aktualisierte Leitlinien vor, die die frühere Empfehlung für die Verwendung von HA-Nahrung bei nicht oder nicht ausschließlich gestillten Säuglingen mit einem erhöhten Allergierisiko nicht mehr unterstützen.
Über Nachgefragt
In der Rubrik Nachgefragt gehen wir Irrtümern auf den Grund und erklären altes Wissen neu.
Insgesamt ist die Datenlage zu allergievorbeugenden Effekten von HA-Nahrungen unsicher und kontrovers, aufgrund des Einsatzes von unterschiedlichen Proteinhydrolysaten, unterschiedlicher Studiendesigns, Interventions- und Beobachtungszeiten sowie betrachteter Endpunkte [8, 9]. Die S3-Leitlinie „Allergieprävention“ hat festgestellt, dass die Evidenz für eine klare positive Empfehlung für teilweise hydrolysierte Säuglingsnahrung bei nicht gestillten Risikokindern nicht mehr ausreicht [1]. Die europäische Leitlinie zur Prävention der Entwicklung von Nahrungsmittelallergien bei Säuglingen und Kleinkindern (EAACI-Leitlinie) gibt ebenfalls keine Empfehlung für oder gegen teilweise hydrolysierte Säuglingsanfangsnahrung zur Vorbeugung von Nahrungsmittelallergien im Säuglingsalter [8]. Auch die Ernährungskommissionen der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) und der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) sprechen in einer Stellungnahme zum Thema keine eindeutige Empfehlung für die Verwendung von teilweise hydrolysierten Säuglingsnahrungen aus [10].
Darüber hinaus fordern aktuelle rechtliche Vorgaben der Delegierten Verordnung (EU) 2016/127, dass eine allergievorbeugende Wirkung von Säuglingsnahrungen aus Proteinhydrolysaten durch geeignete klinische Studiendaten nachgewiesen und durch die EFSA bestätigt werden muss. Produkte dürfen ohne nachgewiesenen Nutzen nicht als hypoallergen beworben werden [7]. Die frühere generelle Empfehlung für HA-Nahrung für nicht oder teilweise gestillte Säuglinge mit erhöhtem Allergierisiko wurde damit durch eine produktspezifische Bewertung ersetzt.
Bisher ist keine Nahrung mit bestätigter Wirksamkeit verfügbar (Stand 06/2024). Zum Stand der Anfragen bezüglich Prüfung von Sicherheit, Eignung und allergievorbeugender Wirkung gibt es Informationen unter https://open.efsa.europa.eu/. Wenn ein Produkt mit bestätigtem Wirksamkeitsnachweis vorliegt, wird darüber entschieden, in welcher Weise Eltern und Fachkräfte über die allergiepräventive Eigenschaft zu informieren sind und wie die bestätigte Wirksamkeit für Verbraucher*innen erkennbar sein wird [7].
Hersteller nutzen die Bezeichnung „HA“ weiter, nun in der Regel für „hydrolysierte Anfangsnahrung“ oder bei Folgenahrungen für „hydrolysierte Anschlussnahrung“. Eltern können diese Nahrungen weiterhin wählen. Wie alle Säuglingsanfangs- und Folgenahrungen müssen auch HA-Nahrungen den gesetzlichen Vorgaben entsprechen und sind damit sicher und zur Ernährung des Säuglings geeignet. Eine nachgewiesene Wirkung im Hinblick auf die Allergievorbeugung besitzen sie jedoch nicht.
Auch für Produkte mit zugesetzten Bakterienstämmen, die als probiotisch beworben werden, oder für Produkte mit Präbiotika, ist eine allergievorbeugende Wirkung nicht belegt [1]. Weil sich der Forschungs- und Entwicklungsstand ändern kann, sollten Eltern, die ihre allergiegefährdeten Babys nicht oder nur teilweise stillen, prüfen, ob der Markt Produkte mit nachgewiesener Wirkung zur Allergievorbeugung bietet. Fachkräfte können hier mit aktuellen Informationen unterstützen.
Keine Empfehlung für Säuglingsnahrungen mit alternativer Eiweißquelle
Säuglingsnahrungen auf der Basis von Soja- oder Ziegenmilchprotein haben gegenüber kuhmilchbasierten Produkten keine Vorteile in Hinblick auf Allergieprävention [1, 11]. Ebenso wenig ist ein allergievorbeugender Nutzen für Tiermilchen wie Ziege, Stute oder Schaf oder von Getreidedrinks belegt [1]. Flaschennahrung für Säuglinge soll generell nicht aus Milch oder anderen Rohstoffen selbst hergestellt werden. Denn die Zusammensetzung selbst hergestellter Säuglingsmilchen entspricht nicht den Nährstoffbedürfnissen des Babys, was ernste gesundheitliche Risiken mit sich bringt [2].
Tipps zur Allergievorbeugung
Ob ein Säugling in seinem Leben eine Allergie entwickelt, wird neben einer familiären Vorbelastung auch von seinem Lebensumfeld beeinflusst. Dabei kommen viele Maßnahmen zur Allergieprävention der Gesundheit aller Säuglinge zugute. So sollte in ihrem Beisein generell auf das Rauchen verzichtet werden. Auch Schwangere sollten nicht rauchen und nicht dem Tabakrauch Dritter ausgesetzt sein. Belastungen der Luft durch etwa Autoabgase, Lösungsmittel aus Lacken oder Wandfarben sowie ein feuchtes Innenraumklima, das Schimmelwachstum begünstigt, gilt es zu vermeiden. Für das Impfen sind keine nachteiligen Effekte auf die Entwicklung von Allergie bekannt. Alle Kinder sollen nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) geimpft werden [1].
Einige Studien liefern Hinweise, dass eine vielseitige Ernährung des Kindes im 1. Lebensjahr einen schützenden Effekt auf die Entwicklung atopischer Erkrankungen haben kann. Zur Prävention der Hühnereiallergie empfiehlt die S-3 Leitlinie vollständig durcherhitztes Hühnerei mit der Beikost einzuführen und regelmäßig zu geben [1]. Es gibt keine gesicherten Belege, nach denen bestimmte Lebensmittel im Säuglingsalter zur Allergievorbeugung gemieden werden sollten [12, 13].
Im Hinblick auf Haustiere spricht aus allergiepräventiver Sicht nichts gegen die Haltung eines Hundes. In Familien, in denen ein erhöhtes Risiko für Allergien besteht, sollte keine Katze neu aufgenommen werden. Wenn schon eine Katze im Haus ist, gibt es keine Empfehlung sie im Hinblick auf die Allergievorbeugung abzugeben, denn es fehlt die Evidenz, dass das hier Vorteile bringt. Für Empfehlungen zu anderen Haustieren fehlen Daten [1].