Die Stillbereitschaft der Mütter in Deutschland ist groß: Fast 90 % der Schwangeren möchten ihr Baby nach der Geburt stillen, 97 % davon beginnen tatsächlich damit. Nach vier Monaten stillen jedoch nur noch 40 % ihr Kind ausschließlich, nach sechs Monaten sind es 13 % [1]. Zu den häufigsten Gründen für ein Abstillen in den ersten sechs Monaten geben Frauen an, dass ihre Muttermilch nicht gereicht habe [1, 2]. Auch Mütter, die vor der Geburt beabsichtigt hatten zu stillen, jedoch nicht mit dem Stillen begonnen haben, nennen als Hauptgrund dafür „zu wenig Milch“ (64%) [1].
Objektiver Milchmangel
Über Nachgefragt
In der Rubrik Nachgefragt gehen wir Irrtümern auf den Grund und erklären altes Wissen neu.
In Fachkreisen wird davon ausgegangen, dass nur sehr wenige Mütter einen nachgewiesenen Milchmangel haben und trotz gutem Stillmanagement nicht ausreichend Muttermilch bilden, um den Säugling damit ausschließlich ernähren zu können. Genaue Zahlen liegen nicht vor [3]. Seltene Milchbildungsstörungen können etwa durch einen gestörten Hormonhaushalt oder nach einer Brustoperation auftreten [4] (zur Vertiefung z. B. [5]).
Erste Maßnahmen sind daher, die Anlegetechnik und das Saugverhalten des Kindes durch eine Hebamme oder qualifizierte Stillfachkraft überprüfen zu lassen und das Stillmanagement bei Bedarf zu optimieren. In manchen Fällen kann Zufüttern mit Säuglingsanfangs- oder Folgenahrung nötig sein. Hier sind zum Erhalten des Stillens milchsteigernde Maßnahmen wie Abpumpen zu berücksichtigen. Ohne diese kommt es zu einer geringeren Milchentnahme aus der Brust und die Milchbildung wird weniger stimuliert [3]. Das Gedeihen des Kindes kann bei Bedarf wie unten beschrieben und mit ärztlicher Beratung eingeordnet werden.
Stillwissen stärkt Selbstvertrauen
Der verbreitete Gedanke „zu wenig Milch“ wird bei Eltern durch unzureichendes oder fehlerhaftes Wissen über die Milchbildung, über typisches Verhalten von Säuglingen (z. B. Stillhäufigkeit) sowie über die Entwicklung von Säuglingen befördert. Auch Zweifel an den eigenen mütterlichen Fähigkeiten können eine Rolle spielen, ebenso wie z. B. Unerfahrenheit im Elternsein und zu wenig Unterstützung beim Stillen. Bereits in der Schwangerschaft sind deshalb Wissensvermittlung und Beratung nötig, die Selbstvertrauen und Stillkompetenz stärken. Hier können alle Berufsgruppen unterstützen, die Schwangere und Eltern betreuen [3, 6], jeweils im Rahmen ihrer beruflichen Qualifikation und mit evidenzbasierten, aktuellen Informationen. (Wissenswertes zur Stillberatung von Familien in belasteten Lebenslagen)
Im Folgenden werden sechs Bereiche beschrieben, in den Wissenslücken bei Eltern bestehen können.
1. Milch gibt es nach Bedarf
In der Regel passt sich die Milchmenge den Bedürfnissen des Säuglings an, wenn nach Bedarf gestillt wird und das Kind effektiv trinkt [3, 7]. Die Milchbildung ist direkt abhängig von der Stimulation der Brust. Je mehr Milch aus der Brust gewonnen wird, desto höher ist die Milchbildung. Die gebildete Milchmenge ist individuell verschieden [4]. Um die Milchbildung aufrechtzuerhalten, muss an beiden Brüsten im Wechsel ausreichend lange gestillt werden, bis das Kind Sattheit signalisiert [8], bzw. entsprechend abgepumpt werden.
2. Häufiges Trinken regt Milchbildung an
In den ersten Wochen wird in unterschiedlichen Abständen meist 8- bis 12-mal oder öfter gestillt. Die häufige Entnahme von Milch aus der Brust nach dem Bedarf des Kindes ist eine Voraussetzung für den sicheren Aufbau der Milchbildung [3].
Ein typisches Saugverhalten ist Clusterfeeding. Das Baby verlangt dann vorübergehend häufiger als sonst die Brust, oft in den Abendstunden [3]. Eltern können dies fälschlicherweise als Zeichen für zu wenig Milch deuten, obwohl es einen physiologischen Hintergrund hat. Clusterfeeding kann erstmals zwischen dem 2. und 4. Tag nach der Geburt vorkommen, wenn die Phase der reichlichen Milchbildung beginnt (umgangssprachlich wird hier von „Milcheinschuss“ gesprochen, einem verunsichernden Begriff, weil er suggeriert, es gäbe davor keine Milch). Um diese Umstellung anzuregen, muss häufig Milch entnommen werden. Das fördert die Entwicklung von Prolaktin-Rezeptoren und die Ausschüttung des Hormons Prolaktin. Auch später kann Clusterfeeding auftreten, im Zusammenhang mit Entwicklungsschüben des Kindes [3, 10].
3. Kleiner Magen braucht kleine, häufige Mahlzeiten
Der Magen von Neugeborenen hat ein sehr geringes Fassungsvermögen (s. Abbildung). Am ersten Tag fasst er nur 5 bis 7 ml und ist so groß wie eine Kirsche [4]. Entsprechend bildet die Brust geringe Mengen an hochkonzentriertem Kolostrum als erste Milch. Häufiges Anlegen des Säuglings regt in den ersten Wochen damit nicht nur die Milchbildung an, es wird auch der Magengröße gerecht.
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4. Schon vor der Geburt Muttermilch
Auch wenn das Baby vor dem errechneten Termin zur Welt kommt, ist bereits Milch verfügbar. Denn schon etwa ab der 16. Schwangerschaftswoche kann das Drüsengewebe der Brust Kolostrum bilden [3].
5. Säuglinge zeigen Hunger und Sättigung
Ein gesunder Säugling zeigt, wenn er hungrig ist oder an die Brust möchte. Typische frühe Signale sind Wachheit, Blinzeln, Augenrollen und suchende Bewegungen mit dem Kopf und Mund. Das Baby kann seine Hand zum Mund führen und an den Fingern saugen. Vielleicht sind sanfte Laute und Schmatzen zu hören. Je länger seine Signale nicht beantwortet werden, desto unruhiger wird das Kind. Wenn der Säugling satter wird, entspannt sich sein Körper immer mehr. Oft macht er einen zufriedenen Eindruck, lässt die Brustwarze von sich aus los und schläft vielleicht ein. Je besser Mutter und Kind sich kennen, desto leichter fällt es die Zeichen des Kindes früh zu erkennen und nach Bedarf zu stillen [3].
6. So erkennen Eltern, dass ihr Kind gut gedeiht
Hebamme bzw. Kinder- und Jugendärzt*in kontrollieren regelmäßig die Gewichtszunahme sowie Längen- und Kopfwachstum des Kindes. Ein gesundes Kind muss darüber hinaus nicht gewogen werden. Versuche, die getrunkene Milchmenge über Wiegeproben vor und nach dem Stillen zu ermitteln, können im Gegenteil das Vertrauen einer Mutter in ihre Stillfähigkeit mindern [12]. Nach der Geburt ist eine vorübergehende Gewichtsabnahme des Kindes normal, nach spätestens 10 Tagen sollte das Geburtsgewicht wieder erreicht werden. Zum Ende des 4. Lebensmonats hat sich das Geburtsgewicht in der Regel etwa verdoppelt und zum 1. Geburtstag verdreifacht. Neben dem Gewicht geben auch Aussehen, Verhalten und Ausscheidungen des Babys Hinweise auf die Versorgung.
Anhaltspunkte für ausreichend Milch:
- aufgewecktes Baby
- guter Muskeltonus und gute Hautspannung
- nach dem Stillen meist zufrieden (aber: satte Babys können auch aus anderen Gründen unruhig sein)
- fünf oder mehr nasse Windeln pro Tag (ab 4. Lebenstag)
- heller, dünner Urin (ab 4. Lebenstag)
- 3-mal oder häufiger Stuhlgang pro Tag (ab 3. Lebenstag)
- Geburtsgewicht nach spätestens zehn Tagen wieder erreicht [3, 4, 8, 13, 14, 15].
Stillen fördern von Anfang an
Ein frühes erstes Stillen und Hautkontakt direkt nach der Geburt fördern den Stillstart, den Aufbau der Milchbildung und eine positive Stillbeziehung [3, 6, 10]. Das korrekte Anlegen und eine gute Stillposition sind von Anfang an entscheidend. Sie ermöglichen effektives Saugen und ein gutes Gedeihen des Säuglings, was wiederum das Selbstbewusstsein beim Stillen stärkt [10].
Dem subjektiven Gefühl der Mutter, zu wenig Milch für ihr Baby zu haben, kann durch eine frühe Aufklärung bereits in der Schwangerschaft entgegengewirkt werden. Dazu ist es wichtig, den Prozess der Milchbildung und den Sinn des oft für die Mutter anstrengenden Clusterfeedings zu verstehen. Eltern sollten erfahren, dass der Stillstart Zeit und Übung braucht und wo sie bei Bedarf Hilfe finden. Hier sind Frauenärzt*innen, Kinder- und Jugendärzt*innen, Hebammen und qualifizierte Stillberater*innen gemeinsam gefragt, um die Familie in der Schwangerschaft und der Stillzeit zu unterstützen und sie bei Unsicherheiten zu begleiten.