Grundsätzlich gilt: Es gibt keine konkreten Empfehlungen nach dem Motto „x-mal in 24 Stunden“ oder „alle x Stunden“. Denn Babys sind in ihrem Stillverhalten sehr verschieden. Ist das Baby gesund, gedeiht es und nimmt an Gewicht zu, dann ist es gut versorgt.
Stillen nach Bedarf des Kindes
Häufigkeit und Dauer des Stillens sollten vom kindlichen Bedarf bestimmt werden [1, 2, 3]. Das ist die wichtigste Maßnahme, um die Milchbildung auf den Säugling abzustimmen. Dieses Stillmuster ist individuell ganz verschieden, sodass jedes Mutter-Kind-Paar seinen eigenen bedarfsgerechten Rhythmus entwickelt. Einige Babys sind nach 15 Minuten satt, andere brauchen doppelt so lange oder haben nach fünf bis zehn Minuten genug. Viele Kinder wollen in den ersten Lebenswochen acht- bis zwölfmal in 24 Stunden angelegt werden. Doch es gibt auch Säuglinge, die weniger häufig trinken wollen. Auch das Stillmuster kann unterschiedlich sein. Manche möchten rund um die Uhr regelmäßig alle zwei bis drei Stunden trinken, andere über einen Zeitraum von zwei bis sechs Stunden stündlich trinken und dann länger schlafen. Manche Säuglinge verändern ihre Stillfrequenz und ihr Stillmuster, wenn sie älter werden, andere nicht [4]. Auch kann sich die Häufigkeit vorübergehend verändern. Häufigeres Stillen als sonst (so genanntes Clusterfeeding) ist zum Beispiel in den ersten Tagen nach der Geburt zu beobachten, wenn sich die Milchbildung umstellt, und kann auch später im Zusammenhang mit Entwicklungsschritten des Säuglings vorkommen.
Es gibt keine Anleitung zum Stillen mit Stundentaktung. Keine Handy-App, die piept: Jetzt bitte stillen! Es gibt Mütter, die sich einen Wecker stellen, um z. B. nach fünf, acht oder zehn Minuten die Brustseite zu wechseln. Dabei ist das nicht nötig. „Stillen nach Bedarf ist in der heutigen Zeit – wo alle gern akribisch planen – durchaus eine Herausforderung. Darauf muss sich eine Mutter erst einmal einlassen“, sagt Dr. Cornelia Hösemann, Frauenärztin und Vertreterin des Berufsverbands der Frauenärzte e. V. im Akteursnetzwerk zur Kommunikationsstrategie Stillförderung beim Netzwerk Gesund ins Leben.
Stillstart nach der Geburt
Schon direkt nach der Geburt werden die Weichen für ein erfolgreiches Stillen gestellt: Ein früher Hautkontakt von Mutter und Kind fördert den Stillbeginn und die Stillbeziehung [4, 5, 6, 7]. Die nationalen Handlungsempfehlungen lauten deshalb, dass Müttern unmittelbar nach der Geburt Hautkontakt mit ihrem Baby ermöglicht werden sollte [1]. Das Kind wird auf den Bauch der Mutter gelegt, auch nach einem Kaiserschnitt, oder sie legt es sich selbst dorthin – mit möglichst viel direktem Hautkontakt zwischen den beiden. Das Neugeborene findet– wenn es nicht gestört wird und keine Medikamente erhalten hat – selbstständig die Brustwarze und beginnt zu saugen [6]. In dieser Phase sollen Mutter und Kind beobachtet und begleitet werden [1].
Milchproduktion anregen
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In der Rubrik Nachgefragt gehen wir Irrtümern auf den Grund und erklären altes Wissen neu.
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In den ersten Stunden und Tagen nach der Geburt ist häufiges Anlegen bzw. Stillen notwendig, um die Entwicklung von Prolaktin-Rezeptoren zu fördern. Je häufiger das Baby in den allerersten Wochen saugt und die Brust stimuliert, desto mehr Milch wird gebildet. Mehr als vier Stunden Abstand sollten in der ersten Woche nicht zwischen zwei Stillmahlzeiten liegen – zumindest bis die Milchproduktion stabil ist. Das Baby sollte dann ggf. sanft zum Stillen geweckt werden [4].
Auch in anderen, besonderen Situationen kann es nach ärztlicher Rücksprache oder nach Absprache mit der Hebamme notwendig sein, Kinder zum Stillen zu wecken. Das ist der Fall, wenn Kinder nicht genügend an Gewicht zunehmen, eine Trinkschwäche oder eine Neugeborenen-Gelbsucht (erhöhte Bilirubinwerte) haben [2, 8]. Letztere wird durch einen Mangel an Flüssigkeit und Nahrung verstärkt [1].
Ob ein Kind genügend trinkt, zeigt sich beispielsweise am Gewicht. Auch nasse Windeln sind ein Indikator dafür: In den ersten 48 Stunden füllt das Neugeborene eine bis zwei nasse Windeln, anschließend täglich sechs bis acht Windeln mit klarem oder blassgelbem Urin.
Hunger- und Sättigungszeichen kennenlernen
„Eltern brauchen Geduld, um die Hunger- und Sättigungszeichen ihres Kindes mit der Zeit immer besser kennenzulernen. Wer sein Baby aufmerksam beobachtet, schafft es schon bald, die Signale richtig zu deuten und kann dann darauf eingehen. Es ist ein Lernprozess, bei dem es nicht um Perfektionismus geht“, weiß Hösemann.
Wenn das Kind Hungersignale zeigt, sollte es nicht lange warten müssen. Hunger zeigt sich anfangs durch Unruhe, Strampeln, Such- und Schmatzbewegungen, eine angespannte Körperhaltung, geballte Fäuste oder das Saugen am Finger. Schreien ist ein spätes Hungersignal.
Grundsätzlich gilt, dass gestillte Kinder nicht überfüttert werden können. Korrektes Anlegen des Babys schützt die Brustwarzen, denn beim häufigen Stillen, insbesondere in der Anfangsphase, können sie leicht wund werden.
Auch Flasche und Beikost nach Bedarf füttern
Die Empfehlung, sich nach dem Bedarf des Kindes zu richten, gilt auch, wenn später im ersten Lebensjahr nach und nach die Beikost zum Stillen hinzukommt. Hunger- und Sättigungssignale sollten Eltern auch beim Füttern von Säuglings(milch)nahrung (Formula) wahrnehmen und darauf eingehen. Portionsangaben in Rezepten oder auf Packungen bzw. Gläschenportionen sind nur als Orientierungswerte zu sehen [1].
Ansprechpartner*innen vor und nach der Geburt
Unsicherheiten bei Eltern führen häufig dazu, dass das Stillen zu früh abgebrochen wird [9, 10]. Deshalb sollten Fachkräfte wie Ärzt*innen, Hebammen und Stillberater*innen bereits in der Schwangerschaft über das Stillen informieren.
Nicht jede Frau hat eine Nachsorge-Betreuung durch eine Hebamme. Dr. Cornelia Hösemann, Landesvorsitzende des BVF Sachsen, sagt: „Besonders in solchen Fällen, aber auch sonst, kommt uns Frauenärztinnen und -ärzten auch nach der Entbindung weiter eine wichtige Ansprechpartnerfunktion zu.“
Wichtig sei auch, dass Frauenärzt*innen gut mit den Hebammen in ihrer Region vernetzt seien: „Wir betreuen die gleiche Klientel und sollten die gleichen Botschaften vermitteln. Als Verband müssen wir uns dafür stark machen, dass Stillen in der Schwangerenvorsorge noch mehr Beachtung durch uns Ärztinnen und Ärzte bekommt und wir das strukturell voranbringen. Stillen sollte auch fest mit allen erforderlichen Lehrinhalten im Aus- und Weiterbildungskatalog verankert sein.“