Empfehlungen
- Eltern sollen für ein ausgewogenes Nahrungsangebot sorgen und das Kind entscheiden lassen, wie viel es davon isst. Eltern sollen somit auf die Hunger- und Sättigungssignale ihres Kindes eingehen.
- Eltern bieten zunächst eine kleine Portion an. Das Kind kann nachfordern, bis es satt ist. Wenn sich das Kind selbst bedient, sollte es angehalten werden, sich zuerst eine kleine Portion zu nehmen.
- Eltern sollten ihr Kind zum Essen anregen, aber nicht durch Maßnahmen wie Tricks, Überzeugungsszenarien, Versprechen oder Spiele zum Essen animieren.
- Essen sollte nicht zur Belohnung oder zur Bestrafung eingesetzt werden.
- Beendet das Kind die Mahlzeit frühzeitig oder will es nicht essen, genügt es, das Kind ein- bis zweimal zum Essen zu ermutigen. Eltern sollten keine Extraspeisen als Ersatz anbieten.
Grundlagen der Empfehlungen
Die Beachtung der kindlichen Selbstregulation der Nahrungsaufnahme gilt als ein wichtiger Ansatzpunkt zur Förderung eines gesunden Essverhaltens und einer normalen Gewichtsentwicklung. Dies zeigen randomisierte kontrollierte Studien, in denen Eltern geschult wurden, die Hunger- und Sättigungssignale des Kindes zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren, mit moderater Evidenz [192]. Dagegen waren restriktive Fütterungspraktiken in Beobachtungsstudien mit höherer Gewichtszunahme [192] und größere Portionen mit höheren Verzehrmengen [152] assoziiert. Nichtresponsives Verhalten, wie z. B. Ablenkungen, Überzeugungsszenarien sowie Essen zur Belohnung oder zur Bestrafung, kann die Selbstregulation stören und ein wählerisches Essverhalten begünstigen [12, 50, 57, 71, 145, 220]. Die Ergebnisse sind jedoch heterogen und stammen überwiegend aus Beobachtungsstudien, die Evidenz ist daher niedrig [53, 228].
Hintergrundinformationen
Über Hunger und Sättigung kann das Kleinkind die Energieaufnahme selbst regulieren und die Verzehrmengen auf seine physiologischen Bedürfnisse abstimmen. Eltern können diese Fähigkeit durch ein responsives Verhalten (engl. „responsive feeding“) stärken: Wenn das Kind Hunger- oder Sättigungssignale zeigt, nehmen Eltern diese wahr und reagieren angemessen und feinfühlig darauf [145].
Hunger und Sättigung zeigen Kleinkinder durch Gesten oder verbal auf verschiedene Weise. In der Regel sind Hungersignale für Eltern leichter wahrnehmbar als Sättigungssignale [96, 127]. Eltern sollten ihr Kind nicht zum Essen drängen oder Druck ausüben [228]. Wenn ein Kind nicht (mehr) essen will oder wenn es Essen ablehnt, sollten Eltern dies respektieren und die Mahlzeit eindeutig beenden (z. B. durch Wegräumen des Tellers). Häufig beobachtete Sättigungssignale von Kindern im Alter von sechs bis 24 Monaten sind z. B. das Abwenden des Körpers oder des Blicks, Kopf schütteln, Zappeln oder mit dem Essen spielen. Zu Hungersignalen zählen z. B. Brabbeln, Hand zum Bauch/Mund führen, Hinwenden zur betreuenden Person oder zur Mahlzeit sowie selbst den Löffel/die Gabel zum Mund führen [182].
Im Kleinkindalter essen zu lernen heißt auch, Hunger und Sättigung als Regulationsmechanismen der Nahrungsaufnahme vom Bedarf nach emotionaler Zuwendung zu unterscheiden [48]. Essen hat eine beruhigende, entspannende Wirkung. Gleichwohl sollten Eltern proaktiv auf die emotionalen Bedürfnisse ihres Kindes eingehen und es nicht mit Lebensmitteln beruhigen oder gar trösten [54, 228].
Zu große Portionen können die Selbstregulation des Kindes beeinträchtigen. Eine Metaanalyse von randomisierten kontrollierten Studien zeigt, dass größere Portionen zu einer Zunahme der täglichen Energiezufuhr führen, auch dann, wenn sich das Kind selbst große Portionen nimmt [152].
Viele Eltern sorgen sich, dass ihr Kind nicht genug isst und damit nicht genug zunimmt. Die verzehrte Nahrungsmenge ist jedoch interindividuell sehr unterschiedlich, wie Daten aus der DONALD-Studie (Abkürzung für: DOrtmund Nutritional and Anthropometric Longitudinally Designed) für Kinder im Alter von drei Monaten bis sechs Jahren zeigen [7]. Ist das Kind gesund, aktiv und zufrieden, können Eltern davon ausgehen, dass es ausreichende Mengen isst. Sorgen sich Eltern um das Körpergewicht, sollten sie sich an Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte wenden. Das Körpergewicht wird im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen erhoben und beurteilt. Studienergebnisse weisen auf einen kulturbedingten Unterschied in der elterlichen Wahrnehmung des optimalen Körpergewichts ihres Kindes hin [169]. Zum Beispiel halten Eltern mit türkischem Migrationshintergrund, Eltern aus arabischen Ländern sowie Eltern aus der ehemaligen Sowjetunion ihre Kinder häufiger für „zu dünn“ als Eltern aus Deutschland [169]. Dies sollte bei der Beratung berücksichtigt werden.