Kariesentstehung ̶ Zusammenspiel von mehreren Faktoren
Die Schädigung von Zahnschmelz und dem darunterliegenden Dentin durch Säuren, die aus bakterieller Verstoffwechselung von Zuckern entstehen, bis zur Läsion (zum Loch) im Zahn ist als Karies bekannt. Bei bis zu Sechsjährigen spricht man von frühkindlicher Karies oder Early Childhood Caries (ECC) [1]. Etwa die Hälfte der sechs- bis siebenjährigen Kinder in Deutschland sind an Karies an den Milchzähnen erkrankt [2]. Die Entstehung ist multifaktoriell bedingt [3]. Neben der Plaqueflora, also der Besiedlung der Zahnoberflächen mit Kariesbakterien [4], spielen u. a. Menge, Art und Häufigkeit der Zufuhr zuckerhaltiger Speisen und Getränke sowie deren Verweildauer im Mund eine Rolle [3]. Im Zahnbelag produzieren kariogene Bakterien aus Zucker organische Säuren [5]. So sinkt der pH-Wert ab, was bei einem Wert unter 5,5 beim Zahnschmelz bzw. unter 6,5 beim Dentin – bei ausreichender Einwirkdauer – Mineralstoffe aus dem Zahn löst (Demineralisation) und damit zu kariösen Läsionen führt [5, 6].
Speichel als natürlicher Reparaturmechanismus
Der Speichel schützt die Zähne, indem er in essensfreien Zeiten Nahrungsreste und Säuren aus der Mundhöhle spült. Außerdem puffert der alkalische pH-Wert des Speichels gebildete Säuren während des Kauens zum Teil ab [5]. Im Speichel enthaltene Mineralstoffe lagern sich an den Zahn an (Remineralisation) und können der Demineralisation entgegenwirken [7].
Kariogenität – Zucker im Blick
Bedeutende Risikofaktoren frühkindlicher Karies sind Menge und Häufigkeit des konsumierten Zuckers in Form von Monosacchariden (z. B. Glucose, Fructose) und Disacchariden (z. B. Saccharose, Lactose) [5]. Diese Zuckerformen werden leicht durch die Kariesbakterien verstoffwechselt und haben dadurch eine hohe Kariogenität (Vermögen, Karies zu erzeugen). Eine zuckerreiche Ernährung wirkt sich zudem auf die Plaqueflora selbst aus und begünstigt das Wachstum von Kariesbakterien [8].
Sparsam Zucker verwenden
Kleinkinder sollten Zucker, Süßigkeiten und andere zuckerreiche Lebensmittel nur sparsam verzehren und den Durst mit Wasser oder ungesüßten Getränken stillen [9]. Kindern zuckerhaltige Lebensmittel komplett zu verbieten, ist nicht realistisch. Lebensmittelbasierte Empfehlungen der optimierten Mischkost für Kinder und Jugendliche geben „bis zu 10 % der täglichen Energiezufuhr“ als Orientierungswert für „geduldete Lebensmittel“ an, wozu zuckerhaltige Lebensmittel (z. B. Gummibärchen, Limonade, Marmelade, Kuchen), aber auch Knabberartikel (z. B. Chips, Kräcker etc.) zählen [10]. Bis zu 10 % der täglichen Energiezufuhr sind für Ein- bis Dreijährige etwa 120 kcal pro Tag [11]. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nimmt in ihren Empfehlungen die zugesetzten Zucker und den Zucker in Honig, Sirup und Fruchtsaft(konzentraten) in den Blick. Um Karies zu verhindern, wäre wahrscheinlich eine Reduktion dieser Zucker auf maximal 5 % der täglichen Energiezufuhr empfehlenswert [12]. Eine feste Naschzeit zu vereinbaren, beispielsweise einmal am Tag direkt nach der Hauptmahlzeit, kann helfen, die Häufigkeit des Zuckerverzehrs zu begrenzen [13].
Zugesetzter Zucker versteckt sich auch in verarbeiteten Lebensmitteln, wie z. B. Cerealien, Ketchup oder verschiedenen Milchprodukten. Der Hinweis „ohne Zuckerzusatz“ bedeutet nicht, dass kein Zucker enthalten ist. Es lohnt ein Blick auf die Zutatenliste und die Nährwertangabe. In Baby- und Kleinkindertees ist seit 2020 der Zusatz von Zucker oder anderen süßenden Zutaten (Honig, Fruchtsaft, Fruchtsaftkonzentrat oder -pulver, Fruchtnektar, Malzextrakt oder andere Sirupe oder Dicksäfte) verboten [14]. In süßen Getränken ist aber häufig nicht nur der Zucker ein Problem, sondern auch die natürlich oder als Zusatzstoff enthaltene Säure (z. B. Zitronensäure oder Phosphorsäure) [15]. Denn beim Verzehr von Lebensmitteln mit hohem Säureanteil – besonders auch in Kombination mit einem hohen Zuckergehalt (z. B. Limonade, Eistee, Fruchtsaft) – sinkt der pH-Wert in der Mundhöhle stark ab, was bei häufigem Verzehr in großen Mengen zu gravierenden Zahnschmelzschäden führen kann [15].
Kein Zucker aus der Nuckelflasche
Nach Durchbruch der ersten Zähne stellt das Nuckeln zuckerhaltiger Getränke (Saft, gesüßter Tee, Säuglings(milch)nahrung, Limonade etc.) aus der Babyflasche oder anderen Flaschen mit Trinkverschluss einen unabhängigen Kariesrisikofaktor (Saugerflaschenkaries) dar [16, 17]. Dabei werden die Zähne laufend von einer kariogenen Flüssigkeit umspült. Die Folge kann eine großflächige Zerstörung der Milchzähne sein, die an den oberen Frontzähnen beginnt. Insbesondere langanhaltendes Nuckeln ist zu vermeiden. Die Saugerflaschenkaries ist eine besonders schwere Form der frühkindlichen Karies und sie setzt früh ein. Um das Kind davor zu schützen, empfiehlt Prof. Ulrich Schiffner, Kinderzahnarzt und Beirat der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnmedizin, „die Baby- oder Saugerflasche nur für die Gabe der Säuglingsnahrung zu verwenden, sie dem Kind nicht selbst zu überlassen und sie nicht zur Beruhigung oder als Einschlafhilfe zu nutzen.“ In der Beikostzeit erhält das Kind ab Einführung des dritten Breis zusätzlich zu Muttermilch oder Säuglingsnahrung Getränke, am besten Wasser. Sie sollten aus Becher oder Tasse angeboten werden [18]. Schnabelflaschen oder Trinklerngefäße sind aufgrund des Nuckeleffekts nicht empfohlen [19].
Essenspausen einlegen
Werden zuckerhaltige Lebensmittel sparsam und im Tagesverlauf nur wenige Male verzehrt, essensfreie Zeiten eingelegt und lange in der Mundhöhle verbleibende (klebrige) zuckerreiche Lebensmittel gemieden, kann der Speichel für eine rasche Entfernung des Zuckers aus der Mundhöhle sorgen (Zuckerclearance). Das Netzwerk Gesund ins Leben empfiehlt, dass Kleinkinder ihre Mahlzeiten in einem regelmäßigen Rhythmus bekommen sollten [9]. Hierzulande sind drei Hauptmahlzeiten (morgens, mittags, abends) und zwei kleinere Zwischenmahlzeiten am Vor- und Nachmittag verbreitet. In den essensfreien Zeiten von z. B. zwei bis drei Stunden sollten nur Wasser oder ungesüßte Getränke angeboten werden [9]. Die Beschränkung der Häufigkeit des Zuckerverzehrs ist neben dem sparsamen Verzehr eine wichtige Maßnahme zur Kariesvorbeugung [20].
Kauaktivität fördern
Durch das Kauen wird der zahnschützende Speichelfluss stimuliert und zugleich die Zungenmuskulatur trainiert, was auch die Sprachentwicklung fördert. Daher bieten sich auch für Kleinkinder kauaktive Lebensmittel wie feines Vollkornbrot, feine Vollkornflocken oder Rohkost an [5, 20, 21]. Zu beachten ist bei Kleinkindern die Verschluckungsgefahr bei harten Lebensmitteln, wie ganzen Nüssen, rohem Wurzelgemüse, Hülsenfrüchten oder ganzen Weintrauben [9]. Solche Lebensmittel können aber in geriebener oder zerkleinerter Form durchaus angeboten werden.
Beim Obstverzehr gibt es verschiedene Möglichkeiten der Darreichungsform: Frischobst oder Mus. Ein Apfel muss ordentlich gekaut werden, was die Speichelproduktion fördert. Quetschbeutel mit Obstpüree sind durch den Nuckeleffekt problematisch, da die Zähne ständig mit zuckerhaltigem Brei umspült werden [22, 23]. Zudem besteht das Risiko direkter Säureschäden an den Zähnen [23]. Wenn pürierte Früchte oder Obstmus gegessen werden, ist es besser, das Kind das Mus löffeln zu lassen, so werden auch Zungen- und Mundmotorik trainiert [22].
Zahngesunde Ernährung = gesunde Ernährung
Eine gesunde Ernährung mit Wasser als Durstlöscher, Trinken aus Becher oder Tasse, reichlich kauaktiven pflanzlichen Lebensmitteln und sparsam Zucker und Süßigkeiten schützt nicht nur die Zähne, sondern fördert insgesamt eine gesunde Entwicklung des Kindes. „Gesunde und zahngesunde Ernährung gehen Hand in Hand“, so Prof. Ulrich Schiffner. „Um Milchzähne effektiv vor Karies zu schützen, sind aber zudem die richtige Anwendung und Dosierung von Fluoriden und regelmäßiges Zähneputzen unerlässlich. In den pädiatrischen und zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchungen werden Eltern dazu fachlich beraten.“ Die Empfehlungen zur wirksamen und sicheren Anwendung von Fluoriden und zur Zahnpflege in den ersten Lebensjahren sind in den gemeinsamen einheitlichen Handlungsempfehlungen zur Kariesprävention im Säuglings- und frühen Kindesalter des Netzwerks Gesund ins Leben [3] ausführlich beschrieben. Die Info-Grafik hier zeigt die Empfehlungen im Überblick.
Der Artikel basiert auf den bundesweiten Handlungsempfehlungen zur Kariesprävention im Säuglings- und frühen Kindesalter.