Eine generelle Erhöhung des Kariesrisikos durch Stillen lässt sich aus der aktuellen wissenschaftlichen Datenlage nicht ableiten. Sie zeigt aber, dass eine längere Stilldauer zusammen mit anderen kariesfördernden Faktoren das Kariesrisiko erhöhen kann. Auch unter dem Blickwinkel der Zahngesundheit wird das Stillen gemäß den nationalen Handlungsempfehlungen des Netzwerks Gesund ins Leben empfohlen [1]. Maßnahmen wie regelmäßiges Zähneputzen, adäquate Fluoridanwendung und eine zahngesunde Beikost bzw. Kleinkindernährung helfen, der Kariesentstehung vorzubeugen.
Stillen: die natürliche Ernährung für Säuglinge
Stillen unterstützt die Gesundheit und die körperliche und seelische Entwicklung des Kindes von Anfang an. Es fördert kurz- und langfristig die Gesundheit von Kind und Mutter [1]. Deshalb sollen Säuglinge im ersten Lebenshalbjahr gestillt werden, mindestens bis zum Beginn des fünften Monats ausschließlich. Auch nach Einführung von Beikost – spätestens mit Beginn des siebten Monats – sollen sie weitergestillt werden. Wie lange, entscheiden Mutter und Kind. Die Häufigkeit und Dauer der Stillmahlzeiten ist individuell unterschiedlich und sollten vom kindlichen Bedarf bestimmt werden [1].
Frühkindliche Karies – ein Zusammenspiel von mehreren Faktoren
Bei der Entstehung von Karies spielen neben der Bakterienbesiedelung der Zahnoberflächen die Menge und Art an zuckerhaltigen Lebensmitteln eine Rolle, aber auch die Dauer und Häufigkeit des Verzehrs [2,3]. Muttermilch enthält Laktose (Milchzucker)1, die wie andere Zucker von Kariesbakterien in der Mundhöhle gespalten und verstoffwechselt werden kann. Die dabei entstehenden Säuren führen zur Demineralisierung des Zahnschmelzes, was zu Karies führen kann. Die Säuren kann der Speichel zwischen den (Still-)Mahlzeiten zum Teil abpuffern und so eine Remineralisierung ermöglichen. Deshalb sind – nicht nur bei Säuglingen – Pausen zwischen den (Still-)Mahlzeiten wichtig. Dauernuckeln und damit eine permanente Umspülung der Zähne mit zuckerhaltiger Flüssigkeit lässt das Risiko für Karies steigen [4].
Datenlage für Stillen nach 12 Monaten nicht eindeutig
In einzelnen Fallberichten ist Karies im Zusammenhang mit Stillen beschrieben [5-7]. Die Assoziation von Stillen bzw. Muttermilch und dem frühkindlichen Kariesrisiko wurde vor allem im Rahmen von Kohortenstudien, Fall-Kontroll-Studien oder Querschnittsstudien untersucht und die vorhandene Evidenz in systematischen Übersichtsarbeiten bewertet [2,4,8-11]. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Stillen im ersten Lebensjahr nicht mit einem erhöhten Kariesrisiko assoziiert ist, sondern das Kariesrisiko unter Umständen sogar verringern kann [2,4,9,11]. Aus den Ergebnissen kann aufgrund methodischer Limitationen jedoch nicht mit Sicherheit abgeleitet werden, dass das Stillen im ersten Lebensjahr ein Schutzfaktor für Karies ist, denn Stillen ist mit anderen schützenden Variablen wie z. B. höherem sozioökonomischem Status oder geringerer Zufuhr zuckerhaltiger Getränke assoziiert.
Bei einer Stilldauer von mehr als 12 Monaten [2,4,8,11,12] oder mehr als 24 Monaten [10,13] und auch bei häufigem nächtlichen Stillen nach dem ersten Lebensjahr [14-16] zeigt sich ein erhöhtes Kariesrisiko. Auch hier sind die vorliegenden Studien im Design sehr heterogen und von teilweise geringer Qualität. Andere Einflussfaktoren auf das Kariesrisiko sind ebenfalls oft nicht ausreichend berücksichtigt, darunter z. B. der sozioökonomische Status, die Qualität der Mundhygiene und Fluoridanwendung. Auch die Art des Stillens (z. B. Stillen nach Bedarf) bzw. die Häufigkeit des Stillens wurde in den Studien nicht immer erhoben. Neuere Studien zeigen jedoch ein erhöhtes Kariesvorkommen bei längerer Stilldauer unabhängig von der sonstigen Zuckeraufnahme [12,13]. Aus der Datenlage lässt sich damit zwar nicht schließen, dass eine längere Stilldauer oder nächtliches Stillen nach Bedarf generell kariesfördernd sind. Es lässt sich aber ableiten, dass im Zusammenhang mit anderen Faktoren, die kariesfördernd sind, bei einer Stilldauer von mehr als 12 Monaten und insbesondere von mehr als 2 Jahren die Häufigkeit und Schwere von Karies zunehmen kann [2,12,13]. Für zuverlässigere Schlussfolgerungen sind weitere gut geplante prospektive Kohortenstudien notwendig.
Stillen nach Bedarf im eigenen Rhythmus
Beim empfohlenen Stillen nach Bedarf [1] entwickeln Säuglinge ihren eigenen Stillrhythmus. Stillmahlzeiten wechseln sich tagsüber ebenso wie nachts mit stillfreien Zeiten ab. Das Kind signalisiert, wenn es Hunger hat und gestillt werden möchte, und wann es satt ist [1,17]. Die Mutter reagiert adäquat auf diese Signale. Ein permanentes Stillen (Dauernuckeln) und damit eine dauerhafte Umspülung der Zähne mit Muttermilch gilt es zu vermeiden. Nicht jede Unruhe des Kindes ist ein Signal fürs Stillen. Phasen, in denen es ein höheres Stillbedürfnis gibt, sind natürlich und meist vorübergehend.
Zahngesunde Ernährung plus Fluoride plus Zahnhygiene
Eine zahngesunde Ernährung ist wichtig für die Kariesprävention. Im Säuglingsalter wird empfohlen, dass die Stillmahlzeiten spätestens ab Beginn des siebten Monats nach und nach durch eine adäquate und (zahn)gesunde Beikost ergänzt werden. Die Beikost soll gegen Ende des ersten Lebensjahres in eine gesunde und damit auch zahngesunde Kleinkindernährung übergehen. Sie sollte abhängig von der Entwicklung des Milchgebisses zunehmend zum Kauen anregen und reichlich Gemüse, Obst und Vollkornprodukte in kindgerechter Form erhalten, Süßes dagegen nur sparsam.
Die Getränke sollen ungesüßt sein und von Anfang an aus dem offenen Becher oder der Tasse getrunken werden. Dies beugt dem Dauernuckeln vor. Essenspausen zwischen den Mahlzeiten bleiben für die Gesundheit der Zähne weiterhin wichtig, damit über den Speichel der Zahnschmelz remineralisiert werden kann [18]. Im Zusammenspiel mit einer adäquaten Fluoridanwendung und Zahnpflege ab dem ersten Zahn, wie in den Empfehlungen zur Kariesprävention des Netzwerks Gesund ins Leben [19] ausgeführt, werden die Zähne des Kindes so von Anfang an optimal vor Karies geschützt.
Fazit
Stillen fördert die Gesundheit von Kind und Mutter. Deshalb sollen Säuglinge gestillt werden. Wie lange insgesamt gestillt wird, bestimmen Mutter und Kind. Selbst bei einer längeren Stilldauer wird Karies dadurch nicht generell gefördert. Das Risiko der Kariesentstehung nimmt mit einer längeren Stilldauer jedoch zu. Durch geeignete Maßnahmen zur Vorbeugung von Karies, die individuell besprochen werden sollten, lässt sich das Risiko für die Kariesentstehung reduzieren. Deshalb sollten Eltern bereits vor dem Durchbruch des ersten Zahns über eine sichere und wirksame Kariesprophylaxe informiert werden.
1 Auch Säuglings(milch)nahrung enthält in der Regel Laktose.