Kolostrum ist die erste Milch, die dem Neugeborenen nach der Geburt zur Verfügung steht. Durch einen hohen Zellgehalt ist es dickflüssiger als die spätere reife Frauenmilch. Bedingt durch eine hohe Konzentration an Beta-Carotin besitzt es meist eine goldgelbe Farbe, kann aber auch grünlich bis hin zu bräunlich aussehen [1, 2, 3].
Die Zusammensetzung des Kolostrums ist auf die spezifischen Bedürfnisse und auf den jeweiligen Entwicklungsstand des Neugeborenen abgestimmt. Genetische Faktoren und Umweltfaktoren wie der mütterliche Infektionsstatus tragen dazu bei, dass sich die Zusammensetzung des Kolostrums weltweit von Mutter zu Mutter unterscheiden kann [4, 5]. Studien fanden im Kolostrum von afrikanischen Müttern mehr Enzyme, die spezifisch gegen dort existierende Darmerreger schützen, als im Kolostrum europäischer Frauen [2].
Stärkt kindliches Immunsystem und Darm
Kolostrum unterstützt den Aufbau des noch unreifen Immunsystems des Neugeborenen [6]. Dazu tragen zahlreiche bioaktive Substanzen bei, die von der Frau in die Milch übergehen. Sie schützen den Säugling vor Krankheiten, die die Mutter bereits durchgemacht hat [7]. Kolostrum ist reich an immunkompetenten Zellen, die bei der Immunabwehr unterstützen, und Immunglobulinen, insbesondere an sekretorischem Immunglobulin A (sIgA) [2]. sIgA kleidet die Darmwand aus und schützt das Neugeborene vor Infektionen. Darüber hinaus schützt sIgA seine Lungen und Nasen- und Rachenschleimhäuten vor Krankheitserregern [7]. Auch der Pankreatische sekretorische Trypsin-Inhibitor (PSTI) überzieht den kindlichen Darm mit einem Schutzfilm und fördert die Regeneration von geschädigten Zellen [8]. Einige weitere im Kolostrum enthaltene Proteine sind Interferone, die antiviral wirken und das Immunsystem stimulieren, und das entzündungshemmende Fibronektin.
Kolostrum (und reife Muttermilch) enthalten mehr als 200 komplexe Kohlenhydrate, die vom Kind nicht verdaut werden. Diese Humanmilch-Oligosaccharide (HMOs) fördern das Wachstum von Darmbakterien wie Bifidobakterien und damit die natürliche Entwicklung des Darmmikrobioms des Neugeborenen. HMOs unterstützen darüber hinaus die Gehirnentwicklung, die kognitiven Fähigkeiten und das kindliche Immunsystem [1, 7, 9, 10].
Schützt vor Gelbsucht
Kolostrum ist schnell verdaulich. Gleichzeitig wirkt es abführend. Damit hilft es dem Neugeborenen, möglichst bald den ersten Stuhlgang (Mekonium) abzusetzen und Bilirubin auszuscheiden [2]. Die Leber des Neugeborenen kann dieses Abbauprodukt von roten Blutkörperchen noch nicht weiterverarbeiten. Kommt es zu hohen Konzentrationen im Blut (Hyperbilirubinämie), entsteht eine Gelbsucht.
Tipp für die Beratung
„Idealerweise wird Kolostrum mit erste Milch oder Neugeborenenmilch übersetzt. Das kommt seiner Wertigkeit und seiner Bedeutung am nächsten,“ erklärt Maria Flothkötter, Leiterin des Netzwerks Gesund ins Leben.
„Auch, wenn ein Säugling in den ersten Tagen nur winzige Mengen an Kolostrum aufnehmen kann, sollte in der Beratung auf dieses hochkonzentrierte Superfood hingewiesen werden. Kolostrum als Vormilch zu bezeichnen, könnte bei Eltern den Eindruck erwecken, dass es sich um eine minderwertige Milch handelt, dabei ist exakt das Gegenteil der Fall.“
Besonders wertvoll für Frühgeborene
Kolostrum steht auch Säuglingen zur Verfügung, die vor Termin geboren werden, denn es wird bereits ab der 16. Schwangerschaftswoche gebildet [1]. Kolostrum von Müttern, deren Kind zu früh geboren wurde, unterscheidet sich von Kolostrum von Müttern termingerecht geborener Kinder [11]. Es enthält deutlich mehr immunkompetente Zellen, sIgA, Lactoferrin, Lysozyme, Oligosaccharide und Wachstumsfaktoren und bleibt länger in dem Stadium Neugeborenenmilch. Damit versorgt diese sogenannte Pretermmilch das Frühgeborene länger mit Abwehrstoffen und besitzt somit ein noch größeres Potential Infektionen zu vermeiden als die Milch von Müttern Reifgeborener [2, 12, 13].
Im Vergleich zu reifer Muttermilch
Über Nachgefragt
In der Rubrik Nachgefragt gehen wir Irrtümern auf den Grund und erklären altes Wissen neu.
Kolostrum (1.–5. Tag nach der Geburt) unterscheidet sich in seiner Zusammensetzung von reifer Muttermilch (ab 14 Tage nach der Geburt) [2]. Es hat einen niedrigeren Fettgehalt und enthält weniger Laktose (Milchzucker). Der durchschnittliche Energiegehalt ist mit 67 kcal/100 ml ebenfalls etwas niedriger als in reifer Muttermilch mit 75 kcal/100 ml [1]. Hingegen ist Kolostrum reicher an Proteinen. Es enthält deutlich höhere Konzentrationen an sIgA (zehnfach höher), PSTI (siebenfach höher), Lactoferrin und HMOs [2, 7, 8, 10] und trägt somit maßgeblich dazu bei, das kindliche Immunsystem zu stimulieren [6]. Kolostrum ist reicher an fettlöslichen Vitaminen wie Vitamin A (am 3. Lebenstag bis zu dreimal höher), Carotinoiden (Beta-Carotin bis zehnfach höher), Vitamin E (zwei- bis dreimal höher) und Mineralstoffen wie Magnesium, Kupfer und Zink (bis zu viermal höher) [1, 2, 13]. Magnesium unterstützt das Herz und die Knochen des Säuglings, Kupfer und Zink tragen zur Entwicklung des Immunsystems bei. Carotinoide fördern beim Neugeborenen die kognitive Entwicklung und das Sehvermögen [1, 2, 3].
Menge ist an Magengröße angepasst
Neugeborene können pro Mahlzeit nur geringe Mengen an Nahrung aufnehmen, bedingt durch die Größe ihres Magens. Am ersten Tag beträgt sein physiologisches Fassungsvermögen nur durchschnittlich 7 ml, am dritten Tag etwa 27 ml [2]. Die Menge des Kolostrums ist daran angepasst. In den ersten drei Tagen werden 2 ml bis 20 ml pro Mahlzeit gebildet [1]. Diese Menge an mit Nähr- und Immunstoffen hochkonzentriertem Kolostrum reicht aus, um das Neugeborene zu sättigen.
Wenn (noch) nicht gestillt wird
In besonderen Situationen kann eine Kolostrum-Gewinnung vor der Geburt in Betracht gezogen und das Kolostrum für den Bedarfsfall eingefroren werden [14]. Zum Beispiel bei Neugeborenen von diabetischen Müttern. Sie haben ein erhöhtes Risiko für eine vorübergehende Hypoglykämie, die meist eine Stunde nach der Geburt erwartet wird. Wegen seiner stabilisierenden Wirkung auf den Blutzucker, wird geraten, diesen Neugeborenen 30 Minuten postpartal Kolostrum zu geben. Ist der Säugling dann noch nicht bereit für das Stillen kann frisches per Hand gewonnenes oder aufgetautes vorgeburtlich gewonnenes Kolostrum gefüttert werden [15, 16]. Auch Säuglinge, denen das Trinken an der Brust aus medizinischen Gründen zu Beginn nicht möglich ist, kann per Hand gewonnenes Kolostrum mit dem Löffel oder einem kleinen Becher gegeben werden [2]. Denn die zunächst noch geringen Mengen des dickflüssigen Kolostrums sind für eine Flaschenfütterung nicht geeignet.
Wenn sich Eltern entscheiden, ihrem Kind Säuglings(milch)nahrung füttern zu wollen, sollten sie über die Bedeutung von Kolostrum aufgeklärt und dazu beraten werden, dass das Gewinnen und die Gabe von Kolostrum in den ersten Tagen das Abstillen nicht behindert. So kann auch ein nicht gestilltes Neugeborenes die im Kolostrum (und reifer Muttermilch) zahlreich enthaltenen entwicklungsfördernden und immunologisch wirksamen Stoffe wie Wachstumsfaktoren, lebende Zellen, Stammzellen, Lactoferrin, Komplementfaktoren, Immunglobuline, Phagozyten, Lymphozyten und Zytokine erhalten, die das kindliche Immunsystem aktivieren und vor Infektionen schützen [2, 7, 17].